Remisens - Ratgeber

Zu viel Selbstkontrolle, zu wenig freie Entfaltung?

„Manchmal kann ich irgendwie nicht loslassen.“ Das ist ein Gefühl, das wohl viele kennen. Dabei scheint im intimen Moment alles so einfach. Man ist einander nah, man liebt, man möchte entspannen. Doch dann das: tausendmal zärtlich berührt, leider nichts passiert.

Frau macht Yoga am Strand, um Ihre Selbstkontrolle zu stärken.© De Visu/ shutterstock.com

Die Erregung war ganz nah – und hat sich doch gleich wieder verflüchtigt, die Spannung nimmt einfach keine Fahrt auf. Und während der Partner auf dem schönen Gefühl surft, fühlt man sich einsam ans Ufer gespült. Bleibt enttäuscht und ein wenig verstimmt zurück. Sicher, er kann nichts dafür, aber es wäre kaum vorstellbar, dass ein Mann den Satz sagen oder denken würde.

Warum nur? Tatsächlich ist eine höhere Selbstkontrolle, gepaart mit Hemmungen, sich fallen zu lassen, eher bei Frauen typisch. Weshalb das so ist, dazu gibt es einige Erklärungsansätze. Und Anregung, wie man das schöne Gefühl leichter zulassen kann. 

Vier Gründe, warum Frauen schwerer loslassen können

 

  1. Jahrtausende Fruchtbarkeit
    Die Angst vor einer möglichen Schwangerschaft hinterlässt ihre Spuren. Auch wenn es heute sichere Verhütungsmittel gibt, die wir achtsam anwenden. Dennoch hinterlässt der Gedanke, welch heftige Folgen eine Empfängnis für Frauen am eigenen Leib und Leben hat einen bleibenden Eindruck. Kein Wunder also, dass unser Gehirn gewöhnt ist mit Sicherheitschecks dazwischenzufunken: Ist wirklich gut verhütet? Ist es hier sicher? Ist der Mann ein Guter? In Folge ist die weibliche Entfaltung von Erregung viel gefährdeter.
  1. Jahrhunderte Sexualmoral
    Die Ansichten dazu, wie eine Frau zu sein hat, hängen mit der Fruchtbarkeit, aber noch mehr der historischen Stellung und den weiblichen Rollenidealen zusammen. Der Dame wird die Tür aufgehalten, ansonsten hat der Mann den Vortritt. Das gesellschaftliche Ideal hieß (und heißt oft noch): sorgsam sein, sozial, nicht zu laut und bestimmend. Weiblich eben. Nur wenige von uns sind ganz frei davon, so schnell lassen sich Erziehung und gesellschaftliche Urteile nicht abschütteln. Plötzlich darf und soll man die Beherrschung sausen lassen, soll sich Raum und Zeit nehmen, stöhnen, egoistisch sein? Gar nicht so leicht. Aber essenziell für die Lust.
  1. Ein Jahrzehnt Selbstoptimierung
    In Zeiten von Achtsamkeit und Selbstoptimierung hat „die Kontrolle verlieren“ ganz schlechte Kritiken. Ständig wird das Gegenteil verlangt: Vergesse dich bloß nicht! Sieh’ gut aus! Zeig’ wenig Emotionen, einen Körper ohne Fehl und Tadel, Oberfläche ist alles. Sexualität ist genau genommen das Gegenteil davon. Den Switch muss man erst einmal hinbekommen. 
  1. Jahrhundert ohne Funkstille
    Wir leben in einer Zeit, in der alle immer auf „on“ sind, online, erreichbar, up to date mit News, in Social-Media, aktiv im Sport, beim Job. Doch um in die Erregung zu kommen, sollte das vegetative, also autonome Nervensystem die Leitung übernehmen, und genau das können wir nicht steuern. Dazu müssen wir in den Offline-Modus wechseln, spüren, geschehen lassen, können die Entwicklung nicht steuern. Hingabe, können wir das noch? Moment, das müssen wir üben.  

 

Vier Wege, die Kontrolle abzugeben und Lust zuzulassen

Vor einigen Anregungen sei noch eine grundsätzliche Frage beantwortet: sind Frauen vielleicht generell weniger erregbar als Männer? Die Antwort: vermutlich nicht. Die Ergebnisse eines Experiments verweisen darauf, dass eher kulturelle und psychische Phänomene den Zugang zum körperlichen Empfinden erschweren. In einer Studie zeigten Frauen angesichts erotischer Filme die gleichen genitalphysiologischen und sogar neuronalen Reaktionen wie Männer. Gehirn und Genitalien reagierten also, doch als die Forscher die Probandinnen fragten, ob sie Erregung gespürt hätten, verneinten die meisten. Die Reaktion von Körper und Gefühl stimmten bei ihnen seltener überein als bei Männern, was Forscher Konkordanz, in diesem Fall eher Nicht-Konkordanz nennen. Die Wahrnehmung und Annahme der eigenen Gefühle ist also schwacher ausgeprägt – die Forscher vermuten aus evolutionsbiologischen, sozialen und kulturellen Gründen.

So können Sie Hindernisse aus dem Weg räumen

 

  1. Bewusste letzte Kontrolle
    Machen Sie sich vor dem Sex nochmal klar: Ihre Verhütung ist lückenlos, der Mann ist richtig, Sie haben Zeit, Sie haben Ruhe, das Handy ist aus, zur Not auch die Klingel, die Schlafzimmertür zu (auch diese Kleinigkeit kann helfen). Sie können sich verführen lassen, oder verführen. Die Checks bewusst durchzugehen, beruhigt.

     
  2. Authentisch sein ist alles
    Denken Sie daran: Mit eingezogenem Bauch kann niemand genießen, schon gar nicht Gefühle durchs Becken fluten lassen. Ihr Partner will Sie so, wie Sie sind, nicht als Produkt eines Insta-Filters oder als Darstellerin wie in einem Film. Vertrauen Sie darauf. Nur Sie sind live und in Farbe hier, schmecken, riechen, spüren. DAS ist das Maximum der Gefühle. Streichen Sie die Sorgen vor einem kritischen Urteil. Auch dem eigenen.

     
  3. Es ist Ihr Königreich
    Egal, was Sie oder Ihr Partner gesehen haben, wie es sein könnte oder müsste: Für Ihre Lust machen Sie die Regeln und gestalten alles, wie es für Sie passt. Wenn mit Laken darüber, dann mit Laken darüber, wenn mit gedimmtem oder ohne Licht dann eben im Schummer. Hand hier, Hand da: Wichtig ist allein, dass Sie in die Entspannung kommen.

     
  4. Perfektion passt nicht
    Seien Sie nachsichtig zu sich und dem Partner. Dabei hilft Humor, und der Abschied von falschen Idealen: Man muss nicht gleichzeitig kommen, man muss nicht zwingend kommen, am schönsten ist ein liebevolles und lustvolles Miteinander, unverkrampft und menschlich. Ende offen, der Weg ein befriedigendes Miteinander. Das zählt.