Remisens - Ratgeber

Warum Lust an die Grenze gehen muss – und darüber hinaus

Bleibt man als Paar sexuell im Modus des „kleinsten gemeinsamen Nenners“ oder will man mehr?  So überwindet man Routine im Bett und holt Spannung ins Liebesleben.

Paar macht Yoga im Bett© fizkes / Shutterstock

Manchmal denkt man wirklich, guter Sex und Liebe – das muss ein Gegensatz sein. Zumindest wenn man schon länger als zwei oder drei Jahre ein Paar ist, und die so leidenschaftliche Liebe-ist-gleich-Sex-Phase vorüber ist. Irgendwann kehrt mehr Ruhe ein, wie erholsam. Denn erreicht hat man nun einen herrlichen Zustand: eine vertrauensvolle Beziehung, die reibungslos funktioniert. Man kennt einander im Alltag und bis hin zum Austausch von Zärtlichkeiten: der Mann an Ihrer Seite weiß, wie seine Liebste tickt. Und meidet wahrscheinlich Dinge, bei denen Sie im Bett eher reserviert reagieren. Ebenso sieht man als Partnerin irgendwann nicht mehr das attraktive Gesamtbild, sondern Launen, Hüftgold, graue Haare an den falschen Stellen. Und warum verhält er sich im Bett nach Schema F? Eine erste Antwort: Vielleicht sogar, weil er es gut meint.

 

Mit der Zeit schläfert das gemütliche Zusammenleben die Leidenschaft ein, mit der Gefahr, dass Sex nur noch auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner stattfindet. Dann macht sich oft sexuelle Unlust und Langeweile breit, der Sex wird weniger. Das ist zwar schade, aber normal: im Vergleich ist man als erfahrenes Paar damit in bester Gesellschaft, wie eine aktuelle Studie des Instituts für Sexualforschung der Universität Hamburg-Eppendorf zeigt. Nach den ersten Jahren, in denen ein Paar Intimität anbahnt, bestätigt und ein Fundament der Nähe aufbaut, sinkt die Sexfrequenz von im Durchschnitt drei Mal pro Woche auf ein Mal pro Woche, bei vielen auch weniger. Darüber hinaus machen bei vielen Paaren zeitintensive Mitspieler wie Kinder, Karriere und Haushalt freies Agieren in Lust und Liebe komplizierter als je zuvor. 

 

Bei aller Routine kann man übrigens auch würdigen, dass Nähe und Sex prinzipiell funktionieren. Das gewohnte Terrain, dieser kleinste gemeinsame Nenner hat auch Vorteile: so kann sich keiner der Liebenden die Finger verbrennen, es gibt keine komischen Reaktionen oder Zurückweisungen im Bett, beide wahren ihre Komfortzone. Man weiss, was man hat.

 

Und trotzdem hat man das Gefühl, da fehlt etwas – nämlich die Reibungsenergie der Unterschiedlichkeiten, die prickelnde Erfahrung von Etwas Neuem. Das beklagen viele Paare. Dieses Phänomen haben renommierte Sexualtherapeuten wie Ulrich Clement vom Institut für Sexualtherapie Heidelberg und der US-Amerikaner David Schnarch beschrieben (Buchhinweise siehe am Ende des Artikels): die Partner gleichen sich einander an, und die an sich wohltuende Nähe führt zu weniger Spannung.  

 

Was kann man also tun für mehr Lust?

  • Durch neues Erleben und Handeln die Partnerschaft auf mehr als den geringsten gemeinsamen Nenner heben.
  • Die Sexualität um neue lustvolle Aktivitäten erweitern, jenseits des vertrauten Terrains.

 

Klar ist: dazu muss man sich an die Grenzen des Vertrauten wagen, denn nur dort kann man testen, was und gut tut und was nicht. Das braucht Mut. Aber trauen Sie sich, es lohnt sich.

 

Vier Wege aus der Routine für neuen, lustvollen Sex und Spannung

1. Denken Sie außerhalb des Rahmens

Lust, das ist inzwischen klar, fängt im Kopf an. Also gilt es, das Kopfkino anzuwerfen. Denken Sie also einmal „outside the box“, auf deutsch, außerhalb der quadratisch-praktischen Gewohnheiten. Wie möchten Sie küssen und geküsst werden? In welchen Positionen würden Sie sich sehen? Vielleicht blättern Sie auch einmal in Ratgebern, lassen sich von Filmen inspirieren. Es gibt – übrigens auch bequeme, zärtliche – Stellungen, die Sie probieren könnten. Löffelchen-Varianten, Kissen unterm Po oder angezogene Knie, Beine, die den Partner umschlingen, auch in der sonst so gemächlichen Missionarsstellung. Schon kleine Veränderungen können sich magisch anders anfühlen. Testen Sie es.

2. Kommunizieren Sie außerhalb des Rahmens

Tja, wie bringt man neue Ideen an den Mann? Zuerst könnten Sie neue Moves natürlich einfach im Bett einbringen, ohne Worte. Er wird sich freuen. Gemeinsam weiter kommen Sie jedoch mit folgender Idee aus der Paarberatungs-Praxis: beide Partner schreiben getrennt eine Liste von erotischen Aktivitäten, egal wie klein oder groß, die Sie sich sicher wünschen. Dazu weitere Ideen, die Sie mit ein bisschen Mut probieren würden. Und dann der Clou – Sie tauschen den Inhalt an einem lauschigen Abend aus und kommen idealerweise darüber ins Gespräch. Daraus ergibt sich buchstäblich neuer Spielraum im Bett, in Form einer gemeinsamen Liste: ein größerer Nenner für die körperliche Liebe. Dabei macht schon das offene Reden darüber Lust auf mehr.

3. Lieben Sie jenseits der eingeschliffenen Zielorientierung

Ja, der Höhepunkt ist nun mal so eine Sache: er ist mit Fug und Recht der höchste Punkt, das ultimative Ziel, zu dem scheinbar alles drängt. Doch die Liebe kann nur schöner werden, wenn Sie den Weg zum Ziel erklären. Versuchen Sie darum an manchen Tagen oder Nächten, die möglichst schnelle, total zielgerichtete Erregung und Befriedigung zu meiden. Nehmen Sie Umwege, denn es ist wie beim Wandern: der schnellste Weg ist oft nicht der schönste. Zugegeben, es kann länger dauern, wenn man neue Varianten auf dem Wege zum Gipfel probiert. Vielleicht riskiert man auch, mal in eine Sackgasse oder auf einen steinigen Weg zu geraten. Aber dann kehrt man eben um. Wahrscheinlicher aber ist, dass Sie eine alternative Panoramastrecke entdecken, die neue Aussichten und Genüsse bietet. Deklarieren Sie also gemeinsam manche Liebesakte zur Genuss- und Probierzeit. 

 

4. Bauen Sie Spannung jenseits des Beziehungsalltags auf

Paare wünschen sich Spannung, ergo Neugier vom Partner und auch auf den Partner. Aber wie gespannt können wir auf einander sein, wenn wir glauben, dass wir einander in- und auswendig kennen? Dabei ist es verständlich, wenn Paare versuchen, möglichst viel zusammen zu sein, gerade wenn mit Kindern, langen Arbeitswegen und kraftzehrenden Jobs wenig gemeinsame Zeit bleibt. Doch genau diese Momente fühlen sich oft eher wie Nebeneinanderherleben statt Quality Time für die Beziehung an.

 

Für mehr Interesse, Kitzel und Überraschung ist paradoxerweise etwas Distanz heilsam. Der Weg dahin führt über Qualitätszeit für sich selbst. Neue Erfahrungen, Eindrücke und Erkenntnisse erfrischen, bringen neuen Wind und lassen die Spannung aufeinander steigen, man hat mehr zu erzählen.  Pflegen Sie also Kontakte, Hobbies, Aktivitäten ohne einander. Eigene Entwicklung würzt das gegenseitige Interesse, die Achtung des anderen wächst. Passend dazu konstatiert Paartherapeut Schnarch: „Selbstachtung ist das beste Aphrodisiakum.“ Für uns, für den anderen ist nichts ist attraktiver, als wenn man euphorisch von etwas erzählt.

 

Und zuletzt noch ein Gedanke: Wie oft denken wir, dass wir mehr sind, als unsere Liebsten ahnen, egal wie gut wir einander kennen? So geht es auch dem Partner. Seien Sie einander immer wieder neues Terrain.

 

Christiane Kolb, Freie Autorin/ Beraterin/ Referentin für sexuelle Bildung

 

Empfehlenswerte Bücher für langjährige Paare:

Guter Sex trotz Liebe. Wege aus der verkehrsberuhigten Zone, von Ulrich Clement. Ullstein Verlag, 10 Euro

Intimität und Verlangen. Sexuelle Leidenschaft in dauerhaften Beziehungen, von David Schnarch. Klett Cotta, um 13 Euro