Die Existenz dieser Lücke der Lust, auch „Orgasm Gap“ genannt, hat eine große Studie bestätigt. Tatsächlich gelangen Männer beim intimen sexuellen Beisammensein häufiger zum Höhepunkt als Frauen: 95 der heterosexuellen Männer kommen immer oder meistens zum Orgasmus, während das nur 65 Prozent der heterosexuellen Frauen von sich behaupten können, etwa ein Drittel weniger. Die Zahlen stammen aus einer Gruppe von Forschern und Forscherinnen der Chapman Universität und dem Kinsey Institut der Indiana University, die gemeinsam über 50.000 Erwachsene befragten. Demnach kennen viele Frauen das Gefühl, im Hintertreffen zu bleiben. Das ist nicht wirklich befriedigend.
Da kann man nur seufzen und schlussfolgern: Leider produziert dieser Frust beim Sex nur noch mehr weibliche Unlust. Denn wenn sich der Partner Dank seinem Höhepunkt aus der Lust verabschiedet (sprich: die Erektion schwindet), geht es oft nicht mehr richtig weiter mit der Leidenschaft für die Partnerin. Das wiederum führt zu mehr Aufmerksamkeit fürs Finish beim nächsten Versuch – und eventuell erneuter Enttäuschung. Da bleibt die Lockerheit auf der Strecke. Und das macht gleich wieder weniger Appetit aufs nächste Mal, nicht wahr?
Ein Teufelskreis. Am Ende leidet die Partnerschaft, weil auch die vorausgeeilten Männer im Ziel nicht froh werden. Sie sitzen auf dem Gefühl „es“ nicht richtig zu machen. Bitte: das soll nicht so bleiben.
Fragen wir also nach den Gründen des Befriedigungs-Gefälles – und finden Möglichkeiten, mit denen Frauen im Lauf der Lust aufholen können.
Woher kommt die Lücke?
Verzeihen Sie, wenn ich nun das stereotype Bild vom schnellen Sportwagen verwende. Aber es liegt nahe wenn man das Gefühl hat, der Liebste könnte beim Sex mit einem hochmotorisierten Rennwagen in Sekunden von Null auf 100 Kilometer pro Stunde beschleunigen, während man sich mit einem Kleinwagen mit wenig PS wie abgehängt fühlt. Immerhin ist deutlich: die Lücke ist kein individuelles Problem. In der sexualwissenschaftlichen Forschung werden gleich mehrere biologische und kulturelle Ursachen dafür diskutiert, nämlich diese:
Zuerst stelle ich eine evolutionsbiologische Überlegung vor: hier lautet die These, dass Frauen sich des höheren Risikos bewusst sind, das Sex für sie bedeutet. Die Wissenschaft vermutet, dass Frauen bei der Hingabe gebremst werden durch die Frage, ob der Mann treu ist und Empfängnis wirklich sicher verhindert, trotz moderner Verhütungsmittel.
Für den wichtigsten Grund für die Orgasmus-Lücke halten dagegen viele Forscherinnen aus der Medizin (tatsächlich ist die weibliche Form korrekt, es forschen viele Frauen) die anatomischen Unterschiede von Mann und Frau. Während beim Mann der empfindsamste Punkt die Eichel ist – beim Geschlechtsverkehr mit Penetration mitten im Geschehen – kommt der Klitoris, vor allem ihrer herausragenden kleinen Eichel dabei weniger Stimulation zugute. Dabei ist sie das erogene Zentrum, das am dichtesten mit Nervenenden durchsetzt ist. Damit erklären sich die Experten und Expertinnen auch, warum lesbische Frauen in der Studie mit 86 Prozent auf eine höhere Orgasmusquote kommen als heterosexuelle Frauen. Vermutlich widmen Frau und Frau der Klitoris beim Liebesspiel (wohlgemerkt: gefragt war nicht nach Penetration, sondern intimem Zusammensein) mehr Aufmerksamkeit.
Kommen wir noch zu den kulturellen Faktoren. Hier gibt es gleich mehrere Argumente. Zum Beispiel könnte die lange bestehende Geringschätzung von weiblichem Begehren eine Rolle spielen. Nun kann man entgegnen, dass wir die Sexualität heute viel geschlechtergerechter sehen. Trotzdem ist es noch häufig so, dass in Filmen oder Büchern noch häufig eher die männliche Lust im Mittelpunkt steht, der Mann wird bedient und drängt. Eine Hand in der Hose oder im Schritt wird eher Jungen zugestanden als Mädchen. Masturbation gilt eher als Männersache, oft nehmen Mädchen und Frauen ihren Körper im Vergleich sexuell weniger in Besitz. Es ist eine Tatsache, dass die Kultur und wir selbst den althergebrachten Werturteilen (noch) nicht ganz entkommen.
Im Übrigen gibt es noch eine biologisch-medizinische Erklärung für den Gap: Von wegen die weibliche Seite ist zu langsam – mancher Mann hat schwache Bremsen und kommt schlicht zu schnell. Professor Frank Sommer vom Lehrstuhl für Männergesundheit am Universitätskrankenhaus Eppendorf in Hamburg beschreibt, dass rund ein Drittel der Männer zwischen 16 und 35 Jahren damit regelmäßig Probleme hat. Mit dem Älterwerden kann es besser werden, muss aber nicht.
Wie wir die Lücke schließen
Hier möchte ich vorausschicken: Es braucht Mut, die „Gap“ individuell zu überbrücken. Zum einen den Mut, sich beim Liebemachen persönlich wie körperlich in den Mittelpunkt zu stellen. Zum anderen den Mut, dem Partner zu kommunizieren, was beide ändern sollten, damit beide zufrieden zum Ziel kommen. Dabei hilft es, lustbetont statt problemzentriert zu argumentieren. Sagen Sie zum Beispiel: „Schatz, ich habe etwas herausgefunden, dass uns beide glücklicher macht beim Sex.“ Oder bleiben Sie mit einem Satz wie „Diese Art von Bewegung, jene Berührung macht es für mich noch intensiver“ bei sich.
Kommen wir auf die Sache mit den Sportwagen zurück. Ausgleichende Gerechtigkeit gibt es, wenn Sie Ihren Motor tunen, Überholmanöver trainieren, an der vielversprechenden Gerade Gas geben. Vergessen Sie nicht, auch mal die Stallorder auszugeben: Vorfahrt für mich!
VORSCHLAG 1 Vorglühen
Pushen Sie die eigene Lust, indem Sie sich einen Erregungs-Vorsprung erarbeiten, bevor Sie die Penetration angehen. Denn das Eindringen zündet bei den meisten Männern den Turbo. Auch das zeigt die genannte Gap-Studie: Frauen die angaben, dass beim letzten Sex intensive Küsse, manuelle und orale genitale Stimulation stattfand, erreichen eher den Orgasmus. Spielen Sie damit.
VORSCHLAG 2 Das Gaspedal bedienen
Die Klitoris-Spitze ist das Zentrum der Erregung. Das anzuerkennen heißt, sich davon zu verabschieden, dass Penetration allein eine Frau ins Ziel bringt. Das machen uns mediale Bildern vor. Kümmern Sie sich also liebevoll um den Gipfel der Lust. Gas gibt man hier mit der Hand, einem Sex-Toy, einer Stellung, die den Hotspot intensiv erreicht.
VORSCHLAG 3 Trainingsrunden drehen
Wie oft hat der Partner seinen Porsche alias Penis wohl auf die Übungsstrecke geschickt? Vermutlich hat er einen Trainingsvorsprung für Phantasien und Massagetechnik. Um die private Rennmaschine zu beherrschen, hilft Übung, solo. In einem kleinen Versuch der Kansas State University zeigte sich, dass Frauen von mehr Information und Übung, wie sie einen Orgasmus auslösen konnten, profitierten. Sie kamen beim Sex mit Mann leichter zum Höhepunkt. Bemerkenswert war: jede einzelne Frau der 15-köpfigen Versuchsgruppe hatte eine andere Technik, die Klitoris zu stimulieren. Sie dürfen tun, was ihnen gefällt.
Suchen Sie also nach Ihrer persönlichen Strategie: Nutzen Sie Gleitgel, gönnen Sie sich ein Profi-Trainingsgerät wie den Satisfyer, Vibratoren und holen Sie sich Inspiration, etwa aus dem Podcast „Ist das normal? Sprechen wir über Sex, wie du ihn willst“ (bei Spotify von Zeit Online und als Buch vom Beltz-Verlag).
VORSCHLAG 4 Neue Stallorder
Machen Sie es wie die Rennställe in der Formel Eins: Auch da muss der eine Champion dem Kollegen, hier der Kollegin aus dem eigenen Team manchmal den Vortritt lassen. Ihr Liebster soll (sich) bremsen, einen Boxenstopp einlegen, damit Sie die Führung übernehmen. Wenn es gar nicht gemeinsam klappt, können Sie ausmachen, wer im Wechsel beim Sex Vorfahrt bekommt.
VORSCHLAG 5 Nachglühen
Sie müssen nicht automatisch auf den Höhepunkt verzichten, wenn der Partner gekommen ist. Vielleicht erlauben Sie sich nach einem Päuschen fortzufahren, manuell, solo, von ihm gehalten oder verwöhnt. Auch das ist möglich, es ist nur ein sensibles Terrain.
Zünden Sie den Turbo?
Möglicherweise entpuppt sich Ihr Kleinwagen doch als äußerst sportliches Modell. Denken Sie trotzdem dran, dass Lust kein Wettrennen ist, sondern eine Sonntagsfahrt zu Zweit. Auch wenn man sich rasant in die Kurve legt und manchmal in einen Geschwindigkeitsrausch gerät, geht es am Ende um das gemeinsame Erlebnis. Falls Sie nun merken, Sie haben einen Igel im Bett, der sich einrollt, statt mitzuhelfen – schlagen Sie ein paar Haken und machen sich vom Acker.