Remisens - Ratgeber

Was denken Sie so darüber? Sex ist Ansichtssache: Wie das Denken über Lust unser Erleben prägt

Hier wird es kurz nachdenklich. Denn: wie wir über Sexualität denken beeinflusst, was wir intim erleben und was wir uns erlauben zu tun und zu fühlen. Wenn wir also unsere – teils hemmenden – Annahmen erkennen, können wir unser Liebesleben unabhängiger gestalten.

Ehemann küsst Frau auf die Wange.© vectorfusionart / Shutterstock

Was denken Sie, wie soll Sex sein? Unbeschwert? Tiefgründig? Gefährlich? Erfolgreich? Welche Rolle spielen Körper, Seele, Beziehung? Muss man „es“ machen, weil es dazu gehört? Klar ist: unsere Annahmen zur Sexualität sind nicht immer wahr und hilfreich. Im Gegenteil, sie sind oft geprägt von Tabus, die wir von Umfeld, Eltern und der Gesellschaft übernehmen. Und obwohl wir es besser wissen und wollen, beeinflussen viele Vorstellungen unterbewusst, wie locker wir uns im Bett machen (können).

Ein paar Beispiele, die viele Frauen kennen: Decke drüber, Licht aus. Leiser lieben, schöner, nur nicht zu viel fordern. Das kann zu sexueller Unlust bei beiden Partnern führen, zu Lustlosigkeit bei Frauen aufgrund falschen Erwartungen und Enttäuschungen. Weg damit!

Dieser Text funktioniert darum wie eine klitzekleine Selbsterfahrung

Schauen Sie sich einige Thesen und Glaubenssätze zur Sexualität an und versuchen zu ermessen: Wie stehen Sie dazu? Und entscheiden, ob Sie sich von manchem frei machen möchten, für ein lustvolleres Liebesleben. Hier ist Ihre Inspiration.

Glaubenssatz: Beim Sex muss man gut aussehen

Sex ist nackt. Kein Wunder fühlen sich viele Frauen im Dunkel oder Halbdunkel freier. Kleines Selbstbekenntnis: das geht sogar mir so. Aber tatsächlich bedeutet Sex, den Körper zu zeigen wie er ist. Das Risiko heißt, taxiert zu werden, Blicken standhalten zu müssen. Bilder in unseren Köpfen davon zeigen jedoch nur Perfektion, sie stammen von Fotos und aus Filmen, in denen zensiert, geschönt und drapiert wird. Das sind keine realistischen Vorlagen.

Außerdem berichten viele Frauen, dass sie sich selbst quasi mit den (kritischen) Augen anderer bewerten. Das auszuschalten ist nicht einfach. Doch im Bett führt die Pose nur zu Frust, weil man sich nicht gehen lassen kann. Baucheinziehen konterkariert das warme Gefühl in der Vulva.

Frage an Sie: Wie ist das bei Ihnen? Wie unbefangen fühlen Sie sich körperlich im Moment der Lust? Wie glauben Sie, soll (und kann) eine Frau aussehen, die genießt, wenn Körper mit Körper spricht? Nehmen Sie sich ein paar Minuten, zum Nachfühlen.

Drei Gedanken sind hier hilfreich: 1. Es gibt nur dieses Erleben, diesen Körper, dieses Sein. Wir sollten beim Sex nur das gute Gefühl in den Mittelpunkt stellen, sonst nichts. 2. Erinnern Sie sich daran, dem Partner geht es ganz genauso. Auch er ist nicht perfekt. Und zum 3., schön entlastend: Er will Sie, so wie Sie sind.

Glaubenssatz:Sex ist heikel

Tatsächlich, da ist etwas dran. Wahr daran ist, dass wir schon früh lernen: Sex ist das Thema, wo Gespräche enden, statt zu beginnen. Sexualität ist der Lebensbereich, auf dem man (vor allem als Frau) viel verlieren kann, Ehre, Wert, Ansehen. Das klingt wie von gestern, doch das ist leider immer noch der Tenor von Schulhof bis Schimpfwort. Sex ist das, was oft lächerlich gemacht wird, worüber so häufig Witze gemacht werden. So hallt es noch in unseren Ohren. Das sitzt tief.

Heikel ist Sex auch, weil wir dabei nackt und schutzlos sind: Wir öffnen uns mit Leib und Leben. Wir Frauen buchstäblich, wir nehmen sogar etwas in uns auf, wir steuern absichtlich einen Moment an, in dem wir die Kontrolle verlieren. Also sind wir extrem verwundbar. Und weibliche Sexualität erfährt tendenziell noch immer mehr Abwertung als männliche.

Frage an Sie: Wie geht es Ihnen damit? Empfinden Sie Gefahr, Tabu, Ängste, Unsicherheit, wenn Sie intim werden? Hier sollen diese Gefühle nicht verdammt werden, sie sind nun einmal da. Das Ziel ist zu erkennen, was uns unterbewusst leitet, um besser damit umzugehen.  

Für wie heikel halten wir also Sex? Geben wir der äußerlichen Bewertung von Lust, Lusterleben mehr Macht als nötig? Innen, im Vertrauen mit einem Partner sollten wir uns in Sicherheit einrichten und eigene Maßstäbe walten lassen.

Glaubenssatz: Wenn Sex nicht klappt, bin ich nicht gut genug

Auch das ist ein wichtiger Aspekt, die Bewertung von Sex. Und auch hier widersprechen sich die normale Alltagserfahrung mit dem Bild, das wir uns machen: Sex soll immer abenteuerlich, aufregend, befriedigend, in tiefem Austausch sein, wie von selbst entstehen und immer (!) mit Höhepunkt gelingen.

Frage an Sie: Wie bewerten Sie Sexualität – gerade wenn es mal mühsamer ging, weniger glatt, vielleicht etwas enttäuschend?

Wir dürfen die Sache ruhig realistischer sehen. Das normale Sexleben kennt viele Seiten, und nicht alle sind Hochglanz: es gibt den Instandhaltungssex, um in Übung zu bleiben, nett, aber unspektakulär. Es gibt den Wiederanfangssex nach einer Pause, bei dem man ein wenig Geduld haben muss, weil die Lust sich nicht subito einstellt. Aber ohne wird es nie besser werden. Ja, es gibt auch die kleine Gefälligkeitsnummer für den Partner, die okay ist, wenn man es gerne tut. Und wer weiß, vielleicht kommen wir doch mit in Fahrt? Und es gibt den Sex, bei dem der Höhepunkt ausbleibt, aber die Reise bis zur Klippe trotzdem schön war.

Das ist alles kein Desaster, es heißt nicht, „man ist nicht gut genug“. Lust ist keine Leistungsfrage. Was können wir dafür, wenn wir länger brauchen oder er, wenn die Tagesform mal fehlt, wenn sich ein banaler Gedanke zwischen das Lusterleben geschlichen hat und uns ausgebremst? Legen wir die Latte ein bisschen tiefer. Ein verständnisvoller Blick auf Lust ist dran, ohne Schuld und Zuweisungen. Ohne Leistungsdruck sind wir besser dran.

Eine Frau muss ihren Partner befriedigen

Tatsächlich ertappt man sich manchmal bei einer inneren Forderung wie dieser. „Die Frau muss für den Mann da sein“, ist heute eigentlich keine Frage mehr. Genau wie die Anmaßung, der Mann müsste seine Partnerin befriedigen (können). Trotzdem schwirren uns beide Ideen noch durch den Kopf. Was darf wer fordern? Wahr und gültig ist: beide sind einander nichts schuldig. Trotzdem bleibt ein schales Gefühl, wenn man einmal nicht möchte. Umgekehrt kennt auch er den Druck, eine gewisse Performance liefern zu müssen.

Frage an Sie: Fühlen Sie nach, welche inneren Gedanken Sie im Verhältnis zur Sexualität des Partners haben. Haben Sie manchmal ein schlechtes Gewissen (obwohl Sie wissen, das müssten Sie nicht haben)? Was erwarten Sie von ihm?

Machen sich ein wenig frei von Erwartungen, „es“ bringen zu müssen, genau wie von der Hoffnung, dass er Ihnen die Lust serviert, von der Sie träumen. Stattdessen ist jeder verantwortlich für die eigene Lust. Ehrlichkeit und deutliche Ansagen sind immer gewinnbringender, vor allem wenn die totale Verliebtheit nicht mehr automatisch für Erregung sorgt. Keiner kann hellseherisch ahnen, was der oder die Geliebte braucht. Zugleich ist es in freier Wahl viel schöner zu sagen: Ich mache etwas ihm zu liebe. Weil ich mich frei dafür entscheide und nicht, weil es dran ist oder dazugehört.

Glaubenssatz: Sex ist schmutzig

Unglaublich, wie sich dieses Urteil hält. Übrigens parallel zum spiegelbildlichen Glauben, Sex wäre heilig und kostbar. Warum eigentlich? Hat die Abscheu damit zu tun, dass Sexualität uns an körperliche Gegebenheiten führt, Körperflüssigkeiten, Biologie, den Verlust von körperlicher Kontrolle? Ist es das komische Berührtsein (durchaus, wie Studien zeigen, auch unwillkürliche Erregung auf visuelle Reize), wenn wir Sex bei anderen beobachten? In Momenten, in denen wir das nicht wollen, reagieren mit Scham. Das ist ganz normal.

Spannend ist übrigens zu beobachten, dass Studien heute zeigen, dass Praktiken die früher „ihgitt“ waren, heute normaler und verbreiteter sind, von Sexspielzeug bis Hintertür eher praktiziert werden. Was nicht heißt, dass jeder alles tun muss. Das Urteil wandelt sich, bleibt aber zwiespältig.

Frage an Sie: Wie sehen Sie Sex? Welches Verhältnis haben Sie zu: „Heilige Liebe“, „Egoistisches Gefühl“, „Biologisches Bedürfnis“, „Was ist schmutzig?“ „Praktiken, die für mich okay sind – oder nur für andere?“ Woher kommen die Ansichten – haben Sie mit denen Ihrer Eltern, Erfahrungen in der Kindheit zu tun?

Sicher erkennen Sie, dass alle hier angesprochenen Fragen immer im Fluss sind. Und, wie spannend, sie sind nicht immer rational. Im Sinne der Selbsterfahrung: denken Sie häufiger daran, wenn unwillkürlich innere Verhaltensregeln ihr Lusterleben zu lenken scheinen.

Was uns weiterbringt, die Lust erweitert, den Spielraum im Bett ausweiten kann wäre, wenn wir unsere Grenzen erkennen und hinterfragen, warum wir sie so setzen. Und alte Gewissheiten über Bord werfen, wenn wir sie für nicht mehr passend und stichhaltig halten. Das macht viel mehr Lust!